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Biozide und Gefahrstoffverordnung

Bei Desinfektions-, Schädlingsbekämpfungs- oder Schutzmitteln handelt es sich um Biozidprodukte. Für solche mit besonders kritischen Eigenschaften enthält die Gefahrstoffverordnung jetzt neue Regelungen. Die Ersatzstoffprüfung wird dabei noch wichtiger.

Bei Desinfektions-, Schädlingsbekämpfungs- oder Schutzmitteln handelt es sich um Biozidprodukte. Für solche mit besonders kritischen Eigenschaften enthält die Gefahrstoffverordnung jetzt neue Regelungen. Die Ersatzstoffprüfung wird dabei noch wichtiger. 

Von ärztlichen Praxen über Pflegeeinrichtungen bis hin zu Kliniken werden täglich Mittel zur Desinfektion eingesetzt: für Hände, Oberflächen, Medizinprodukte oder Wäsche. Desinfektionsmittel sind aber auch anderswo in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zu finden, zum Beispiel in Kindertagesstätten oder Bildungseinrichtungen. Das Ziel: Infektionen verhindern. In der Schädlingsbekämpfung hantieren Mitarbeitende wiederum mit Schädlingsbekämpfungsmitteln oder setzen im Holz- und Bautenschutz verschiedenste Schutzmittel ein. 

Ob Schädlingsbekämpfungs-, Schutz- oder Desinfektionsmittel: Diese drei Arten von Mitteln haben gemeinsam, dass sie sogenannte Biozidprodukte, kurz „Biozide“, sind. Sie enthalten Wirkstoffe, die Schadorganismen zerstören, unschädlich machen oder ihre Wirkung verhindern. Biozide können zudem abschreckend oder in einer anderen Weise bekämpfend wirken. Die Schadorganismen, gegen die sie im Einsatz sind, reichen von winzigen Mikroorganismen wie Viren, Bakterien, Schimmelpilzen oder Algen bis hin zu größeren Schädlingen wie Insekten oder Nagetieren. 

Auswahl nach Sicherheit und Wirksamkeit 

Tätigkeiten mit Desinfektions- oder Schädlingsbekämpfungsmitteln erfordern eine sachgemäße Planung und Durchführung, da es sich um Gefahrstoffe handelt. Nach der Gefahrstoffverordnung muss vor Aufnahme einer Tätigkeit mit Gefahrstoffen eine Gefährdungsbeurteilung erfolgen. Wesentliche Punkte sind die Ersatzstoffprüfung – Substitution – und die Auswahl des sichersten Produkts. 

Dabei geht es zum einen um die Gesundheits-, Brand- und Umweltgefährdung. Beim Einsatz von Biozidprodukten gilt es zum anderen unnötigen Verbrauch zu vermeiden und auf eine nachhaltige Verwendung zu achten, indem vorab die Wirksamkeit des Mittels geprüft wird. Jedes Biozidprodukt hat eine bestimmte Wirksamkeit gegen einen oder mehrere Schadorganismen. Bei der Auswahl des sichersten Produkts sind Gefahrstoffeigenschaften und Wirksamkeit gemeinsam zu betrachten. 

Was bringt die Gefahrstoffverordnung Neues? 

Auf EU-Ebene werden die Bereitstellung von Biozidprodukten auf dem Markt und deren Verwendung seit 2012 durch die europäische Biozid-Verordnung geregelt. Zum 1. Oktober 2021 wurden die europäischen Regelungen in der deutschen Gefahrstoffverordnung umgesetzt. Dadurch ergeben sich einige gefahrstoff- und arbeitsschutzrelevante Neuerungen. Mit diesen befasst sich derzeit ein Fachgremium, in dem auch die BG vertreten ist. Detaillierte Informationen für die Praxis sollen künftig neue „Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)“ zum Thema Biozide bieten. 

Durch die neue Gefahrstoffverordnung kommt der Abwägung von Nutzen und Risiken im Rahmen der Substitutionsprüfung eine noch größere Bedeutung zu. Biozidprodukte mit bestimmten gefahrstoffrechtlichen Einstufungen (aufgeführt in § 15c der GefStoffV) sind besonders kritisch zu prüfen: 

  • akut toxisch Kategorie 1, 2 oder 3, 
  • krebserzeugend, keimzellmutagen oder reproduktionstoxisch Kategorie 1A oder 1B, 
  • spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1 SE oder RE 

oder 

  • Biozidprodukte, bei denen im Rahmen der Zulassung die Verwenderkategorie „geschulter berufsmäßiger Verwender“ festgelegt wurde.

Informationen zur Einstufung sowie teilweise auch schon zur Verwenderkategorie sind im Sicherheitsdatenblatt oder auf dem Etikett des jeweiligen Produkts zu finden. 

Vor erstmaliger Verwendung solcher Biozidprodukte oder erneutem Einsatz nach einer Unterbrechung von mehr als einem Jahr ist schon jetzt eine unternehmensbezogene Anzeige bei der zuständigen örtlichen Aufsichtsbehörde – wie staatliche Ämter für Arbeitsschutz beziehungsweise Gewerbeaufsichtsämter – notwendig. 

Die Mindestanforderungen, wie beispielsweise die Angabe der Betriebsanschrift sowie der Art der Tätigkeit, sind bisher nur in Anhang 4.2.1 der neuen GefStoffV beschrieben. Ein entsprechendes Formular ist aktuell noch nicht verfügbar, wird jedoch im Rahmen der neuen Technischen Regeln für Biozide erstellt. 

Darüber hinaus dürfen nur Personen mit solchen Produkten arbeiten, die sachkundig sind oder von einer sachkundigen Person beaufsichtigt werden. Die genauen Anforderungen an diese Sachkunde werden ebenfalls erst noch erarbeitet.

Welche Neuerungen sind für die Praxis relevant? 

In Anbetracht der unverzichtbaren und breiten Verwendung von Desinfektionsmitteln in Bereichen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege ist die gewissenhafte Substitutionsprüfung schon immer zentraler Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung. 

Der Einsatz von Desinfektionsmitteln mit besonders schädigenden Eigenschaften wie hautsensibilisierend, atemwegssensibilisierend oder krebserzeugend ist möglichst zu vermeiden. Aldehydhaltige Produkte, unter anderem mit den Inhaltsstoffen Formaldehyd, Glutaraldehyd oder Glyoxal, sowie Produkte beispielsweise mit Polyhexamethylenbiguanidhydrochlorid, Maleinsäure oder 4-Chlor-3-methylphenol sind hautsensibilisierend. Glutaraldehydhaltige Produkte sind zusätzlich atemwegssensibilisierend und formaldehydhaltige Produkte zusätzlich krebserzeugend. Erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Inhaltsstoffe in Desinfektionsmitteln sind bisher nicht bekannt. 

Die Neuerungen der GefStoffV sollten zum Anlass genommen werden, den Einsatz von Desinfektionsmitteln mit kritischer Einstufung nach § 15c zu überprüfen und zu substituieren. Eine Marktrecherche der BGW von Anfang 2020 ergab, dass dies nur wenige Desinfektionsmittel betrifft – zum Beispiel Konzentrate mit krebserzeugendem Formaldehyd und sehr vereinzelt Konzentrate mit Glutaraldehyd oder Alkylaminen. Viele gängige Konzentrate mit Glutaraldehyd oder Alkylaminen fallen dagegen nicht unter diese besonderen Regelungen. Insbesondere glutaraldehydhaltige Konzentrate sind aber aufgrund ihrer Atemwegssensibilisierung zu ersetzen. 

Auf dem Markt stehen viele ungefährlichere Alternativen zur Verfügung, die den Anforderungen des Arbeitsschutzes und der Hygiene gerecht werden. Ebenso gibt die DGUV Information 207-206 „Prävention chemischer Risiken beim Umgang mit Desinfektionsmitteln im Gesundheitswesen“ Hinweise, wie sich sicher mit Desinfektionsmitteln arbeiten lässt. 

Für den Einsatz von Schädlingsbekämpfungs- oder Holzschutzmitteln sind ebenfalls Produkte mit kritischer Einstufung nach § 15c der neuen GefStoffV im Rahmen der Substitution zu prüfen. In der Schädlingsbekämpfung ist das Stellen einer Anzeige bei der zuständigen örtlichen Aufsichtsbehörde vor Anwendung bestimmter Produkte sowie der Nachweis einer Sachkunde nichts Unbekanntes. Wesentliche Arbeitsschutzgrundlage ist seit Jahren die TRGS 523 „Schädlingsbekämpfungsmittel mit sehr giftigen, giftigen und gesundheitsschädlichen Eigenschaften“. Deren Regelungen bleiben bestehen, bis die neuen Technischen Regeln für Biozide in Kraft treten. Das gilt genauso für die TRGS 512 „Begasungen“ und die TRGS 522 „Raumdesinfektion mit Formaldehyd“. 

Empfehlung: Übergangsphase nutzen! Auch wenn die Praxishilfen zu den neuen Regelungen für Biozidprodukte im Detail noch nicht vorliegen, lässt sich die Übergangsphase nutzen: In den Betrieben sollten die gefährlichen Eigenschaften der verwendeten Biozidprodukte überprüft und diese gegebenenfalls durch weniger gefährliche ersetzt werden.